BGE: Suchtkranke erhalten Chance auf IV-Rente Hinzugefügt am 5. August 2019 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textbeitrag Tages-Anzeiger/Newsnet vom 5. August 2019 / von sep/sda) Das Bundesgericht erkennt Sucht als Krankheit an. Im IV-Prozess wird diese neu wie eine psychische Erkrankung geprüft. Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung für die Beurteilung des Anspruchs auf eine IV-Rente bei Suchterkrankungen geändert. Damit wird bei Suchterkrankungen zukünftig so vorgegangen, wie dies bereits bei psychischen Erkrankungen der Fall ist. Neu muss mit einem strukturierten Verfahren geklärt werden, ob die Suchtmittelabhängigkeit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit hat. Dies hat die zweite sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts in Luzern in einem am Montag veröffentlichten Urteil entschieden. Im Einzelfall muss demnach aufgrund objektiver Massstäbe beurteilt werden, ob die betroffene Person trotz des diagnostizierten Leidens ganz oder teilweise einer Arbeit nachgehen kann. Bisher wurde bei einem sogenannten Abhängigkeitssyndrom eine IV-rechtliche Relevanz abgesprochen. Eine Suchterkrankung begründete nur dann einen Anspruch auf eine IV-Leistung, wenn sie in eine Krankheit oder in einen Unfall mündete oder wenn die Sucht Folge einer Krankheit war. Grundsätzlich sei man bisher davon ausgegangen, dass die jeweilige Person ihren Zustand selbst verschuldet habe, schreibt das Bundesgericht. Ausserdem nahm man an, eine Abhängigkeit könne immer durch Entzug aufgehoben werden. «Sucht ist Krankheit» Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung auf der Basis medizinischer Erkenntnisse geändert. Aus medizinischer Sicht sei eine Sucht eine Krankheit. Deshalb dränge sich die gleiche Sichtweise wie bei psychischen Erkrankungen auf. Die Richter in Luzern weisen in ihrem Urteil darauf hin, dass die versicherte Person eine Pflicht zur Schadensminderung habe. Deshalb könne von ihr die aktive Teilnahme an einer zumutbaren, medizinischen Behandlung verlangt werden. Weigere sich ein Betroffener, könne eine Rente gekürzt oder gestrichen werden werden. Im konkreten Fall hat das Bundesgericht die Beschwerde eines benzodiazepin- und opioidabhängigen Mannes gutgeheissen. Er hatte vergeblich eine IV-Rente beantragt. Seine 50-prozentige Arbeitsfähigkeit im geschützten Bereich soll mit der Weiterführung der Therapie schrittweise erhöht werden. Die nun zugesprochene Rente soll zu gegebener Zeit überprüft werden. (Urteil 9C_724/2018 vom 11.07.2019) Dank Urteil sparen Gemeinden bei der Sozialhilfe (Textauszug Blick vom 7. August 2019 / von Tobias Bruggmann) Das Bundesgericht hat entschieden: Zukünftig sollen auch Suchtkranke eine IV-Rente bekommen können. Der Entscheid könnte die Gemeinden entlasten. Alkohol-, Drogen- oder Medikamentensucht ist eine Krankheit – das hat am Montag das Bundesgericht offiziell bestätigt. Dieser Entscheid hat Folgen für die Betroffenen: Sie dürfen in Zukunft eine IV-Rente beantragen. Eine gute Nachricht nicht nur für Süchtige – auch die Gemeinden könnten profitieren. Die IV-Renten werden nämlich vom Bund bezahlt – anders als die Sozialhilfe, für welche die Gemeinden aufkommen müssen. Wie viele Suchtkranke heute Sozialhilfe beziehen, wird nicht erfasst. Aber: «Suchterkrankungen gehen einher mit einem erhöhten Risiko für Sozialhilfeabhängigkeit, das mit fortschreitender Abhängigkeitserkrankung wächst», antwortete der Bundesrat bereits 2016 auf eine Interpellation von SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler (43)… Damit ein Süchtiger eine IV-Rente bekommt, muss klar sein, dass die betroffene Person nicht arbeiten kann. Das entscheidet ein Arzt. Dazu kann der Suchtkranke zu einer Therapie verpflichtet werden. Macht er diese nicht, werden die Leistungen gekürzt oder ganz gestrichen. Markus Kaufmann von der Skos freut sich aber noch aus einem anderen Grund über den Entscheid des Bundesgerichts: «Die IV hat oft mehr Möglichkeiten und die besseren Instrumente, um die Betroffenen bei der beruflichen Integration zu unterstützen.» Weiterlesen.