Wie sich Strafverfahren beschleunigen liessen Hinzugefügt am 28. Oktober 2019 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textbeitrag / Meinung in der NZZ am Sonntag vom 27. Oktober 2019 / von Damian K. Graf, Staatsanwalt für Wirtschaftsdelikte, Gastautor) Die Siegelung von Akten im Strafverfahren hat sich von einem Recht des Beschuldigten zum beliebten Verschleppungsmittel entwickelt. Es gäbe allerdings einen eleganten Ausweg. Strafverfahren dauern lange. Und Wirtschaftsstrafverfahren nehmen aufgrund ihrer Komplexität oft besonders viel Zeit in Anspruch. Das führt in der Bevölkerung und in den Medien – zuweilen zu Recht – zu einem gewissen Unverständnis, das auch von Verteidigern befeuert wird. Sie erhoffen sich wegen der langen Verfahrensdauer ein milderes Urteil für ihre Klienten. Dass die Verteidiger durch Verzögerungsmanöver häufig eine Mitschuld daran tragen, wird meist ausgeblendet. Kostengünstig und einfach kann eine Strafuntersuchung etwa dadurch verschleppt werden, dass bei einer Hausdurchsuchung (oder in anderen Konstellationen) die sogenannte Siegelung verlangt wird. Damit wird den Strafverfolgungsbehörden der Zugriff auf sichergestellte Unterlagen oder Daten sofort und bis auf weiteres verunmöglicht. Sie dürfen die Beweismittel nicht auswerten, sondern müssen sie unter Verschluss halten, bis ein Gericht über die Entsiegelung entschieden hat. Der Antrag auf Siegelung muss durch die Betroffenen unverzüglich erfolgen, ist jedoch an keine Form gebunden und bedarf keiner eingehenden Begründung. Die Siegelung sorgt bei Strafverfolgern landauf, landab für zunehmenden Unmut. Denn je nach Komplexität des Falles sowie nach Art und Menge der beschlagnahmten Aufzeichnungen können die Entsiegelungsverfahren mehrere Jahre dauern. Zwar sieht das Gesetz für derartige Gerichtsentscheide eine einmonatige Frist vor. Allerdings handelt es sich dabei um eine blosse Ordnungsvorschrift, die von den Gerichten geflissentlich ignoriert und ohne Konsequenzen um das Zehn- oder Zwanzigfache überschritten werden kann. Kommt hinzu, dass der Entscheid des kantonalen Gerichts an das Bundesgericht weitergezogen werden kann, dessen notorische Überlastung ebenso wenig eine speditive Erledigung zulässt. Neu soll ein zweites kantonales Gericht entscheiden Das schlichte Begehren, die Aufzeichnungen zu versiegeln, kann damit schlimmstenfalls – oder aus Sicht des Beschuldigten: bestenfalls – einen jahrelangen Stillstand bewirken. Die aktuelle Revision der Strafprozessordnung schafft hier keine Abhilfe, im Gegenteil: Neu soll der Entsiegelungsentscheid nicht mehr direkt beim Bundesgericht angefochten werden können, sondern es soll zunächst ein zweites kantonales Gericht darüber entscheiden. Weitere Verzögerungen wären vorprogrammiert. Ursprünglich war die Siegelung für Fälle gedacht, in denen eine Person, die durch eine Hausdurchsuchung überrumpelt wird, in der Hitze des Gefechts nicht ausmachen kann, welche Unterlagen mitgenommen werden und ob es sich dabei um Aufzeichnungen handelt, die nicht hätten beschlagnahmt werden dürfen. So dürfen etwa Anwaltskorrespondenz und ärztliche Unterlagen nur in absoluten Ausnahmefällen in einem Strafverfahren verwendet werden. Man hat es sich aber mittlerweile zum Sport gemacht, jedes Mobiltelefon oder sämtliche geschäftlichen Unterlagen versiegeln zu lassen, in denen sich angeblich «Privates» oder «Geschäftsgeheimnisse» befinden. Solche Begehren sind meist aussichtslos, was den Verteidigern wohlbekannt ist. In der Praxis dient die Siegelung also meist nur dazu, den Fortgang des Verfahrens zu ersticken, was von Strafverteidigern zuweilen freimütig anerkannt wird. Das riecht nach Rechtsmissbrauch. Hinzu kommt, dass die Siegelung als Rechtsbehelf quer in der Landschaft steht, denn gegen sämtliche Verfügungen der Staatsanwaltschaft steht den Betroffenen normalerweise die strafprozessuale Beschwerde offen. Warum soll für die Beschlagnahme und Durchsuchung von Aufzeichnungen etwas anderes gelten? Würde man die Siegelung durch die normale Beschwerde ersetzen, hätte dies einen positiven Nebeneffekt: Mit dem Einlegen der Beschwerde würden die Aufzeichnungen nicht mehr automatisch unter Verschluss gehalten, sondern stünden den Strafverfolgungsbehörden von Beginn weg zur Verfügung. Der Rechtsschutz der betroffenen Personen wäre dennoch garantiert, da ein Gericht bei Gutheissung der Beschwerde die Staatsanwaltschaft anweisen könnte, die Beweise aus den Akten zu entfernen. Das würde auch Folgebeweise betreffen, die gestützt auf nicht verwertbare Aufzeichnungen erhoben wurden. Die Strafverfolgungsbehörden hätten folglich auch ohne Siegelung ein ureigenes Interesse daran, mutmasslich geschützte Aufzeichnungen bis zum Vorliegen des Beschwerdeentscheids nicht zu verwerten. Mit einer solchen Lösung würden Strafverfahren künftig viel effizienter, ohne dass die Rechte und Interessen der Betroffenen über Gebühr beschnitten würden. Die Revision der Strafprozessordnung ist derzeit in vollem Gang. Es wäre bedauerlich, würde diese Gelegenheit verpasst, die Siegelung mit ihrem erheblichen Missbrauchspotenzial abzuschaffen. Damian K. Graf, Gastautor