Beamter liess Staatsverweigerer pfänden – dieser entführte ihn Hinzugefügt am 12. März 2025 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textbeitrag Tages-Anzeiger vom 6. März 2025, Abo-pflichtig / von David Sarasin und Jigme Garne, Mitarbeit: Mel Giese und Jan Gubser) Der mutmassliche Täter war den Ämtern bekannt. Nun werden Rufe nach einer Überwachung der Staatsverweigerer-Szene laut. In Kürze: Nach der Entführung eines Gemeindemitarbeiters in Pfäffikon ZH hat die Polizei einen Mann festgenommen. Er gilt als Staatsverweigerer und ist mehreren Betreibungsämtern bekannt. Zürcher Betreibungsämter verstärken wegen zunehmender Bedrohung durch Staatsverweigerer ihre Sicherheitsmassnahmen. Die Zürcher Sicherheitsdirektion wird beim Schweizer Nachrichtendienst vorstellig. Paul K. (Name geändert) ist ein beliebter Mechaniker mit ausgezeichnetem Ruf gewesen. Aus der ganzen Schweiz und aus dem Ausland kamen Leute in seine Werkstatt im Zürcher Oberland, um Dinge reparieren zu lassen. Er sei ein Liebhaber alter Maschinen gewesen, hiess es 2013 in einem liebevollen Porträt über ihn, das in einer lokalen Zeitung erschien. Seither ist viel geschehen. Mitte Februar 2025 entführte Paul K. mutmasslich einen Pfändungsbeamten der Gemeinde Pfäffikon. Er soll auf einem Parkplatz unvermittelt in das Auto des Beamten eingestiegen sein und ihn unter Waffengewalt gezwungen haben loszufahren. Dem 27-jährigen Opfer gelang die Flucht. Gemäss einer gut informierten Quelle war der Gemeindemitarbeiter bei der Pfändung von Paul K. involviert gewesen. Am vergangenen Freitag, zwei Wochen nach der Entführung, wurde Paul K. an seinem Wohnort verhaftet. Bei der Hausdurchsuchung fand die Kantonspolizei mehrere Waffen und Munition, wie sie diese Woche mitteilte. Am Mittwochabend hat das Zwangsmassnahmengericht Untersuchungshaft für den Tatverdächtigen angeordnet. Den Nachbarn fielen seine Verschwörungstheorien auf Gemäss mehreren Quellen handelt es sich bei Paul K. um einen Staatsverweigerer. Dies schrieb am Dienstag als Erste die NZZ. Staatsverweigerern gelten Behörden als illegitim, weil die Schweiz kein Staat, sondern eine Firma sei, die von höheren Mächten gesteuert werde. Als Konsequenz dieser Haltung zahlen sie keine Steuern, fluten Ämter mit pseudojuristischen Briefen und lehnen jegliche Staatsmacht ab. Das bekamen seit der Coronapandemie vor allem die Betreibungsämter zu spüren. Das Betreibungsamt und die Gemeindeverwaltung in Pfäffikon geben keine Auskunft zum Fall Paul K. Gemeindepräsident Marco Hirzel verweist auf laufende Ermittlungen der Zürcher Staatsanwaltschaft. Nachbarn beschreiben Paul K. als Person, die gerne ausschweifend diskutiert habe und zunehmend durch das Verbreiten von Verschwörungstheorien aufgefallen sei. Ein Bekannter von ihm deutet diese Eigenschaft positiv und sagt am Telefon, Paul K. sei einer, der «Eigenverantwortung zeigt und sich nicht alles gefallen lässt». Er habe bei ihm aber auch eine extremistische Haltung erkennen können. Zürcher Betreibungsämter kennen ihn Bekannt war der mutmassliche Entführer nicht nur in Pfäffikon, sondern auch bei anderen Betreibungsämtern im Kanton. In Dübendorf, wo er ebenfalls einen Wohnsitz hatte, ist er durch seine radikalen Ansichten aufgefallen. Der Leiter des Betreibungsamtes Dübendorf, Markus Zöbeli, sagt: «Er war im Umgang kein Einfacher, doch dass er Gewalt anwendet, damit hat niemand hier gerechnet.» Viele Mitarbeitende würden angesichts dieser brutalen Tat denken, dass eine solche auch sie hätte treffen können. Vor Corona sei der Name von Paul K. nie in den Akten aufgetaucht. Seine Geschichte ist laut Zöbeli eine, wie sie seit der Pandemie die Betreibungsämter immer wieder beschäftigt. Paul K.s Radikalisierung habe im Internet stattgefunden. Er habe dann von einem Jahr auf das andere keine Steuern mehr bezahlt, sagt Zöbeli. Die darauf folgenden Betreibungen ignorierte er. Wohl im Zusammenhang mit seiner Pfändung schritt er nun zur Tat. Extremismusexperten äusserten schon länger die Befürchtung, dass es zu einer Tat wie in Pfäffikon kommen könnte. «Die Radikalität, die mit der staatsablehnenden Ideologie einhergeht, wird in Konfliktsituationen sichtbar», sagte der Gewalt- und Extremismusforscher Dirk Baier dieser Redaktion vor einem Monat. Baier warnte davor, Staatsverweigerer zu verharmlosen. «Es gibt in der Szene Personen, die eine Gewaltaffinität aufweisen und aufgrund ihres Waffenbesitzes auch als gefährlich einzustufen sind.» Staatsverweigerer stellten «Haftbefehle» aus Im vergangenen Jahr ist diese Radikalisierung sichtbar geworden. Auf einer Website von Staatsverweigerern waren über 250 erfundene Haftbefehle gegen Staatsbeamte, Richter oder Journalistinnen ausgestellt worden. Als Grundlage für die falschen Haftbefehle diente eine internationale Pseudorechtsprechung mit Wurzeln im angelsächsischen Raum. Gezeichnet waren die Dokumente mit roten Daumenabdrücken. Im Zuge der Berichterstattung unter anderem dieser Redaktion wurde die Website, auf der die Haftbefehle hochgeladen wurden, gesperrt. Thomas Winkler ist Präsident des Verbandes der Gemeindeammänner und Betreibungsbeamten des Kantons Zürich. Winkler sieht bei einem Teil der Szene eine Radikalisierungstendenz. «Je mehr die Betroffenen in die Mühlen des Rechtsstaates gelangen, umso mehr kann sich die Radikalisierung zuspitzen.» Winkler sagt aber auch, dass es in den vergangenen Monaten insgesamt ruhiger geworden sei auf den Zürcher Ämtern. «Viele haben es sich gut überlegt, ob sie ganz auf Konfrontationskurs mit dem Staat gehen wollen», sagt Winkler. Zürich stellt Antrag beim Nachrichtendienst Die Polizei geht offenbar schon länger von einem Gewaltpotenzial der Staatsverweigerer aus. Die Zürcher Sicherheitsdirektion beantragte beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ein Prüfverfahren, in dem geklärt werden soll, ob Staatsverweigerer auf die Beobachtungsliste des NDB zu setzen seien. Dies würde dem Nachrichtendienst ermöglichen, laut Rechtsgrundlagen «alle erforderlichen Informationen» zu beschaffen und auszuwerten. Von dem Prüfverfahren berichtete zuerst die «NZZ am Sonntag». Das war im vergangenen Sommer. Weil ein Eintrag auf der Beobachtungsliste weitreichende Konsequenzen hat, bedarf er einer Zustimmung des Bundesrats. Der Antrag der Sicherheitsdirektion ist noch hängig. Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr (parteilos) sagt, man werde nun «aufgrund neuer Erkenntnisse» dem Antrag auf Bundesebene Nachdruck verleihen: «Der Nachrichtendienst muss die Staatsverweigerer-Szene ernst nehmen und schnellstmöglich ein entsprechendes Prüfverfahren einleiten.» Eine Sprecherin des Nachrichtendienstes sagt auf Anfrage, der NDB habe den Antrag der Kantonspolizei Zürich gemäss dem damaligen Kenntnisstand beantwortet. Zum Inhalt der Antwort äussert sie sich nicht, weil die Beobachtungsliste als vertraulich klassifiziert ist. Ergebnisse von Strafverfahren wie im Fall von Paul K. würden in die laufende Bedrohungsbeurteilung einfliessen. Staatsverweigerer in Horgen hortete Waffen Ein Fall aus Horgen aus dem vorletzten Jahr deutet ebenfalls auf das Risiko hin, das von Staatsverweigerern ausgehen kann. Bei einem Mann, der weder Rechnungen bezahlte noch zu Anhörungen der Polizei erschienen war, wurden 2023 bei einer Hausdurchsuchung mehrere Schusswaffen gefunden, darunter auch ein Pump-Action-Gewehr. Dies ist einem Verwaltungsgerichtsentscheid von Mitte Januar zu entnehmen. Der Mann hatte gegen die Beschlagnahmung seiner Waffen Beschwerde eingereicht. Die jüngsten Eskalationen verunsichern die Angestellten auf den Zürcher Betreibungsämtern. Dazu beigetragen hat laut Präsident Winkler auch, dass der Angriff von Pfäffikon ausserhalb des Amtes, auf einem Parkplatz, stattgefunden hat. «Eine solche Tat ist schwer zu verhindern», sagt er. Besonders schlimm für die Gemeindeangestellten: Gleichenorts wurde 2011 die Chefin des Sozialamtes getötet. Damals erschoss ein Sozialhilfebezüger auf offener Strasse zunächst seine Ehefrau, dann richtete er vor dem Eingang zum Gemeindehaus die Leiterin des Sozialamtes hin. Die Betreibungsämter haben ihre Sicherheitsvorkehrungen mit dem Aufkommen der Staatsverweigerer erhöht. Das Bedrohungsmanagement der Zürcher Kantonspolizei hat die Zürcher Betreibungsbeamten im Jahr 2023 auf radikalisierte Staatsverweigerer hin geschult. Pfändungsbeamten wird seither empfohlen, zu Staatsverweigerern nur noch in Begleitung einer Polizeieskorte auszurücken. Man werde die Sicherheitsmassnahmen nun noch einmal überdenken, sagt Winkler. Zum jetzigen Zeitpunkt könne er aber nicht mehr dazu sagen. Das Gewaltpotenzial sei bei den Staatsverweigerern besonders schwierig einzuschätzen, da schlichtweg alle eine radikalisierte, staatsablehnende Sprache benutzen würden. Wie radikal diese Sprache ist, zeigen neue Dokumente, die aktuell in einschlägigen Telegram-Chats kursieren. Darin rufen die Staatsverweigerer dazu auf, endlich «Nein zu sagen zu den Unterdrückern». Bald würden «Karriere Politiker, Infiltratoren, Verräter, kontrollierte Opposition, Anwälte, Richter und Gerichtsvollzieher wegen (abscheulicher) Verbrechen gegen die Menschheit zur Rechenschaft gezogen».