Ein Richter ist kein Parteisoldat Hinzugefügt am 8. August 2019 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textbeitrag NZZ vom 7. August 2019 / Kommentar von Kathrin Alder) Richterinnen und Richter gehören hierzulande meist einer Partei an. Verpflichtet sind sie in ihrer Tätigkeit aber einzig dem Recht. Wer das nicht verstehen will, tritt die Gewaltenteilung mit Füssen. In der einen Hand hält sie eine Waage, in der anderen ein Schwert. Während die Waage für das sorgfältige Abwägen der Sach- und Rechtsfragen steht, das Taxieren von Für und Wider, symbolisiert das Schwert das Urteil und die Härte, mit der das Recht durchgesetzt wird. Waage und Schwert sind die beiden wesentlichen Attribute der Justitia, die bis heute als Allegorie für Gerechtigkeit und eine faire Rechtsprechung dient. Jene Justitia, die auf dem berühmten Gerechtigkeitsbrunnen in Bern thront, trägt zudem Augenbinde und Ohrenschutz. Schliesslich sollen Richterinnen und Richter unvoreingenommen urteilen, frei von Einflüsterungen durch Parteien mit eigenen Interessen. «Schuldiger» Richter wird gesucht Doch diese Auffassung der Rechtsprechung erweist sich alles andere als selbstverständlich. Kürzlich hat das Bundesgericht in einer aufsehenerregenden öffentlichen Beratung entschieden, 40 000 Kundendaten der UBS im Rahmen der steuerlichen Amtshilfe an Frankreich auszuliefern. Die Wogen gingen hoch, und jene politischen Kreise, die stets strikt gegen eine Auslieferung jeglicher Bankdaten waren, empörten sich. Dabei beliessen es einige Hitzköpfe nicht bei der inhaltlichen Kritik gegen das Verdikt, die durchaus berechtigt ist. Vielmehr spielten sie auf den Mann: Yves Donzallaz, ein SVP-Bundesrichter, der für die Auslieferung der Daten argumentiert und gestimmt hatte, wurde – weil angeblich das Zünglein an der Waage – kurzerhand zum «Schuldigen» für den 3:2-Entscheid erkoren. Was folgte, war absehbar. Vor allem Exponenten der SVP drohten umgehend, Richter Donzallaz bei der nächsten Gelegenheit abzuwählen. Fraktionspräsident Thomas Aeschi etwa liess sich in den Medien mit folgender Aussage zitieren: «Wir müssen uns ernsthaft fragen, ob wir Bundesrichter unserer Partei wiederwählen wollen, wenn sie in keiner Weise unser Gedankengut vertreten.» Ins gleiche Horn stiessen die SVP-Nationalräte Thomas Matter oder Pirmin Schwander, aber auch einzelne Politiker von FDP und CVP spielen laut Medienberichten mit dem Gedanken einer Abwahl. Doch damit nicht genug: Neben dem UBS-Urteil zeigte Ende Juli ein weiteres Beispiel, wie die Politik zunehmend Druck auf die Rechtsprechung ausübt. In Zürich «outete» ein SVP-Kantonsrat eine SP-Richterin mit Namen und Parteizugehörigkeit auf Facebook und Twitter. Sie hatte in einem Fall von Sozialhilfebetrug nicht die obligatorische Landesverweisung angeordnet, sondern sich auf die Härtefallklausel berufen. Neben der Kritik am «zu milden» Urteil wurden auch dort Stimmen laut, die eine Abwahl der Richterin forderten. Und schliesslich blieben auch die jüngsten Bundesrichterwahlen von politischen Querelen nicht verschont. Gewählt wurde im Juni die von der Gerichtskommission der eidgenössischen Räte vorgeschlagene Kandidatin der CVP, obwohl ein SVP-Richter ersetzt werden musste und die SVP im Grunde einen Anspruch auf den Sitz gehabt hätte. Der SVP-Kandidat hatte sich letztlich kurz vor der Wahl zurückgezogen. Zwar begründete die Gerichtskommission ihre Empfehlung damit, die CVP-Kandidatin sei sowohl fachlich als auch persönlich die beste gewesen. Hinter vorgehaltener Hand aber ging es den Politikern in Bundesbern vor allem um die parteipolitische Zusammensetzung jener Kammer, in der eine Vakanz zu besetzen war. Dabei ist die Zusammensetzung der Kammern gar nicht Sache des Parlaments, sondern des Bundesgerichts. Dass die Parteizugehörigkeit von Richterinnen und Richtern immer wieder zu Diskussionen Anlass gibt, ist systemimmanent. In der Schweiz werden die Richterstellen an den eidgenössischen Gerichten sowie den meisten Kantonsgerichten nach Parteienproporz vergeben. Sodann werden Richter hierzulande nicht ernannt, sondern gewählt, in den meisten Fällen durch das zuständige Parlament, manchmal auch direkt vom Volk. Richterinnen und Richter sind also in der Regel Mitglieder einer Partei. Werden sie gewählt, zahlen sie dieser üblicherweise eine Mandatssteuer. Der Parteienproporz ist zwar freiwillig, doch er spielt traditionell eine wichtige Rolle und widerspiegelt das Schweizer Staatsverständnis: Man ist um Ausgleich bemüht und schliesst alle politischen Kräfte mit ein. Dazu kommt die Skepsis der Schweizer gegenüber Ämtern auf Lebzeiten. Niemand, auch keine Richterin, soll die Möglichkeit erhalten, Macht unkontrolliert und unlimitiert auszuüben. Daher müssen sich Bundesrichter dem Parlament alle sechs Jahre zur Wiederwahl stellen. Dieses System bietet Angriffsfläche: Es gefährde die richterliche Unabhängigkeit, heisst es, auch ausserhalb der Schweiz. Die Staatengruppe des Europarats gegen Korruption (Greco) bemängelt etwa regelmässig die europa- und wohl auch weltweit einzigartige Gepflogenheit der Mandatssteuer für Richter. Die Mandatssteuer sollte abgeschafft werden Teilweise ist diese Kritik nachvollziehbar. Es ist erstens unverständlich, weshalb Richter, die in aller Regel keinen Wahlkampf betreiben, ihrer Partei nach Amtsantritt einen finanziellen Obolus für deren Unterstützung und Aufwendungen leisten sollen. Das erweckt den Anschein, das Amt sei erkauft, was nicht dem Bild von einer unabhängigen Justiz entspricht. Die Mandatssteuer sollte deshalb abgeschafft werden. Das fordert auch die Richtervereinigung. Diskutiert werden muss – zweitens – über die periodische Wiederwahl, gerade von Bundesrichtern, dem durchaus gesunden Abwehrreflex gegenüber allfälligen Machtballungen zum Trotz. Denn: Wie unabhängig kann eine Richterin sein, die befürchten muss, nach einem unliebsamen Verdikt von der eigenen Partei nicht mehr gewählt oder gar nicht mehr aufgestellt zu werden? Eingetreten ist dieser Fall zwar noch nie. Dennoch spricht nichts dagegen, die Amtszeit von Bundesrichtern zu verlängern und sie so vor unerwünschten politischen Manövern zu schützen. Im Gegenteil: Die durchschnittliche Amtsdauer eines Bundesrichters beträgt ohnehin rund zwanzig Jahre. Man würde also bloss der Realität gerecht, wenn man eine Verlängerung der Amtszeit festschriebe, verbunden freilich mit der Möglichkeit, bei groben Verfehlungen ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten. Zu glauben, die Rechtsprechung sei nicht politisch, ist hingegen eine Illusion. Natürlich bedürfen Gesetze der Auslegung, und Richter haben einen Ermessensspielraum, den sie entsprechend nutzen. Richterinnen und Richter sind keine Maschinen. Sie sind Menschen, manche politischer, manche weniger, aber sie verfügen selbstverständlich über Grundwerte, Haltungen und Weltanschauungen, die in ihre Rechtsprechung einfliessen. Das Bundesgericht hält denn auch in einem Entscheid fest, vom Richter würden zu Recht «Lebensnähe, Erfahrung und menschliches Verständnis» erwartet. Vor diesem Hintergrund hat auch der freiwillige Parteienproporz seine Berechtigung. Er garantiert, dass an den Gerichten ein möglichst breites Spektrum von Werten und Weltanschauungen vertreten ist. Die Parteizugehörigkeit sorgt dafür, dass die unterschiedlichen Haltungen transparent gemacht werden. Das erhöht die Akzeptanz der Urteile und damit das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz. Beunruhigende Tendenz Dass es Politiker – wie im Fall UBS – als zulässig erachten, «eigenen» Richtern als Folge eines unliebsamen Urteils mit der Abwahl zu drohen, verrät allerdings ein eigenartiges Rollenverständnis. Schon bei früheren Gelegenheiten waren ähnliche Tendenzen erkennbar. Bei den Gesamterneuerungswahlen des Bundesgerichts von 2014 etwa wählte die SVP vier Richter (zwei der SP, einen der CVP und eine Richterin der Grünen) nicht, weil diese, wie sie damals behauptete, «ausländisches vor Schweizer Recht stellen wollen». Auch SP-Parlamentarier liessen sich dazu hinreissen, einen SVP-Richter nicht mehr zu wählen. Derlei Gebaren ist im höchsten Masse irritierend. Natürlich sollen und dürfen Entscheide des höchsten Gerichts kritisiert werden. Die Rechtsprechung ist nicht unantastbar. Doch wenn selbst die sonst sehr zurückhaltende Richtervereinigung öffentlich fordert, die Unabhängigkeit der Richter sei zu respektieren, und wenn Richterkollegen aus Angst, «von ihrer Partei in den Senkel gestellt zu werden», immer häufiger in den Ausstand treten, wie Bundesrichter Thomas Stadelmann kürzlich in einem Interview mit CH-Media klagte – dann ist das nicht nur bedenklich, sondern beunruhigend. Die unabhängige Justiz ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Richterinnen und Richter sind – trotz Parteizugehörigkeit – keine Parteisoldaten. Sie sind einzig und allein dem Recht und dem Gesetz verpflichtet. So steht es in der Verfassung geschrieben. Wer das nicht akzeptieren will, verstösst nicht nur gegen das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit. Er tritt auch die Gewaltenteilung mit Füssen. Kommentar von Kathrin Alder