Einst Millionär – heute am Existenzminimum Hinzugefügt am 15. Oktober 2018 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textauszug Beobachter vom 11. Oktober 2018 / von Anina Frischknecht) Er hat in seinem Leben alles richtig gemacht. Und alles falsch. Er, Markus Tschopp (Name und Lebensumstände geändert). Major, Vater, Gemeindepräsident, stolpert über ein faules Aktienpaket. Seit 15 Jahren versucht er, sein Leben glattzubügeln, doch die Schuldenspirale dreht immer weiter. … Einmal, da war er jemand, hatte 220 Wohnungen in der ganzen Schweiz. Heute hat er noch ein Zimmer und teilt das Bad mit vier Fremden. Einmal, da war er jemand. Jemand, den man respektiert, den man liebt, dem man vertraut. Und jemand, der eine Chance einfach beim Schopf packt. Die Chance hiess Chillmi, schmeckte nach Pfefferminze, Chili und Geld. Viel Geld. So hat es angefangen. Mit einem Energy-Getränk. Vor 15 Jahren ist er mit dem Auto nach Deutschland gefahren. Vier Stunden Fahrt, Hoffnung im Gepäck. An der Louisenstrasse 26 in Wiesbaden hat er vier Kisten Chillmi in den Kofferraum geladen. Eine Probierrunde. Die Getränke-Aktien sollten seinem Sohn zum eigenen Bauernhof verhelfen. «Ich war mir so sicher», sagt er heute. 1,3 Millionen Franken hatte er investiert. Ein Haufen Geld. Für den Bauernhof brauchte er einen grösseren Haufen. Und bis dahin hatte immer alles geklappt. Er hatte immer alles richtig gemacht. Er war Major, Lehrer, dann Heimleiter und Gemeindepräsident. Und er hatte Geld in Immobilien investiert. In Wattwil, Biel, Diessenhofen, Dürrenäsch, Chur – ein Mehrfamilienhaus nach dem anderen. Irgendwann machte er sich damit selbständig. Da war alles gut. Er verlegte Böden, montierte Küchen, mähte den Rasen, hatte Mitarbeiter, machte die Buchhaltung. Und er hatte Gewinne. Damals hatte er auch noch eine Frau und drei Kinder. … Die Investition sicherte ihm einen Platz in der Gaunerkartei, und sein Name kursierte von nun an im grauen Kapitalmarkt – dem unregulierten Teil des Finanzmarkts. Ohne staatliche Aufsicht, ohne Sicherheit. Eines Tages war eine Treuhandfirma aus Karlsruhe am Telefon. Sie lockte und verführte ihn und lud ihn nach Wiesbaden ein. Von da an träumte er den Traum von Chillmi. «Dreimal war ich da oben in Wiesbaden, habe den Businessplan vorgelegt bekommen. Chillmi war an der Frankfurter Börse gelistet, es hatte Sekretärinnen am Empfang und Mitarbeiter im Büro. Alles schien perfekt. Ich habe doch nie damit gerechnet, dass das in einem Betrug endet. Nie.» Damals wusste er nicht, dass hinter der Swiss Chillmi AG Namen stecken, die mit zahlreichen dubiosen Gesellschaften in Verbindung gebracht werden. Auch mit den E-Zigaretten, an die Tschopp schon einmal Geld verloren hatte. Die Wertpapierdepots blieben aber für immer leer. Die 1,3 Millionen Franken waren weg, der Bauernhof war ausgeträumt. «Das ganze Geld haben die Typen in Bordellen versoffen. Dafür sind sie drei oder vier Jahre ins Gefängnis gekommen. Drei oder vier Jahre, während ich nun seit fünfzehn Jahren versuche, mein Leben wieder glattzubügeln.» … Und der versuchte weiter, zu retten, was noch zu retten war. Er verkaufte eine Wohnung nach der andern, wieder fielen Gewinnsteuern an. Er wurde immer verzweifelter. Irgendwann verkaufte er seine Immobilien unter Wert. Irgendwann hatte er keine mehr zu verkaufen. Alles, was blieb, war der Schuldenberg. Heute lebt Markus Tschopp von 2300 Franken, Existenzminimum. Der Rest seines Lohns wird weggepfändet. Er arbeitet wieder als Lehrer. Französisch und Sport, auf einem Auge blind. Immer müde, wegen des Zuckers und des Schuldenbergs. Und einsam, weit weg von seiner Walliser Heimat. Weit weg von seiner Familie, weit weg vom ausgeträumten Bauernhof. Die Familie am Ende Als das Loch endgültig nicht mehr zu stopfen war, trennte sich Markus Tschopp von seiner Frau und zügelte in den Kanton Basel. Gestritten haben die beiden nie. Es war eine Flucht. Markus Tschopp schämte sich. Seine Familie sollte nicht in die Schulden reingezogen werden. Sie hat schon genug gelitten, vor allem die Kinder, sagt er. Plötzlich war auch für sie ausgeträumt, der Bauernhof beim Ältesten, das ETH-Studium beim Jüngsten. Die Verschuldung hat ihn besonders getroffen, er hat sein Leben nie ganz richtig in den Griff bekommen. Er kämpft heute mit einem Burn-out, in der Psychiatrie. Der Vater gibt sich die Schuld, versteht ein wenig, warum der Sohn keinen Kontakt mehr will. Nur die Tochter schickt an Geburtstagen und Weihnachten eine SMS. 340’000 Franken Schulden sind bis heute geblieben. Trotz Schuldensanierer, trotz strengem Abzahlplan. Die Hoffnung, dass er diesem Berg irgendwann noch beikommt, wird immer kleiner… Und so hatte er den Traum von neuen Leben, in Ungarn. Für Ungarn würde er in der Schweiz alles zurücklassen, auch seine Kinder. Er ist einsam… Im Sommer hätte es so weit sein sollen, das neue Leben in Ungarn. Doch der Schuldenberg stand im Weg. In einer Nachlassstundung wollte er zusammen mit den Gläubigern eine Lösung finden. Alle bekommen die Hälfte der geschuldeten Summe, verzichten auf den Rest, dann bleibt ihm noch genug, um in Ungarn vernünftig zu leben. Doch dem zuständigen Gericht war die nahende Auswanderung ein Dorn im Auge. Gehen darf er erst, wenn alles geregelt ist. Markus Tschopp hat das akzeptiert. Er arbeitet weiter als Lehrer und hofft, dass er den Schlussstrich bald ziehen kann. Er ist müde. Weiterlesen.