Radikaler Bürokratie-Abbau wäre verherrend Hinzugefügt am 28. November 2024 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textbeitrag Tages-Anzeiger vom 27. November 2024 / von Edgar Schuler) „Radikaler Bürokratie-Abbau gehört zum Dümmsten, was eine Gesellschaft machen kann.“ Elon Musk soll die US-Verwaltung drastisch reduzieren. Eine gute Idee? Nein, sagt Politologe Markus Hinterleitner: Bürokratie sei der Preis für eine funktionierende Demokratie. Donald Trump beauftragt Elon Musk, die US-Staatsbürokratie auszumisten. Das löst auch in der Schweiz eine Debatte über einen schlankeren Staat aus. Stellvertretend für viele Bürgerliche hält etwa der Zürcher SVP-Politiker Gregor Rutz Musks Berufung für eine «hervorragende Idee». Aber wie berechtigt ist die Forderung nach einem rigorosen Abbau des Staates? Markus Hinterleitner hat sich als Politologe an der Universität Lausanne intensiv mit modernen Verwaltungen befasst. Er sagt, die Verwaltungsbürokratie sei kein «Klotz am Bein», sondern ein zentraler Bestandteil einer stabilen Demokratie. Herr Hinterleitner, Donald Trump will mit Elon Musk den US-Staat radikal verschlanken. Eine gute Idee? Klar nein. Radikaler Verwaltungsabbau gehört zum Dümmsten, was eine fortschrittliche demokratische Gesellschaft machen kann. Wenn man so kürzt, wie von Trump angekündigt, führt das zu Staatsversagen. Sie übertreiben. Die Verwaltung in der Schweiz wächst schneller als die Bevölkerung. Nationalrat Gregor Rutz hat vorgerechnet, dass allein der Kanton Zürich jeden Tag fünf neue Mitarbeiter anstellt. Bürokratie ist nicht nur ein notwendiges Übel, sondern eine unverzichtbare Voraussetzung für die Umsetzung demokratischer Entscheidungen. Ohne eine leistungsstarke Verwaltung können politische Beschlüsse nicht umgesetzt werden. Das Ergebnis ist eine Abwärtsspirale von ineffizienter Regulierung, fehlendem Schutz und wachsendem gesellschaftlichem Unmut. Wollen Sie damit sagen: Wer beim Staat sparen will, ist ein Feind der Demokratie? Natürlich gibt es überflüssige oder überkomplexe Regeln, die man vereinfachen könnte. Aber der Fokus der Medien auf vermeintlich sinnlose Regulierungen führt in die Irre. Oft wird ein einzelnes Beispiel herausgegriffen und zu einem grossen Problem aufgebauscht … Aber? Analysen zeigen, dass die Aufgaben der Verwaltung schneller wachsen als ihre Ressourcen. Unsere Verwaltungen sind heute effizienter als früher, und überflüssige Kapazitäten gibt es kaum. Was bleibt, sind Einzelfälle – aber was zählt, ist das Gesamtbild. Viele verstehen dennoch nicht, warum die öffentliche Verwaltung schneller wächst als etwa die Bevölkerungszahl. Ich gebe Ihnen recht: Umfragen zeigen, dass viele Menschen eine schlechte Meinung von der Verwaltung haben, wenn man sie pauschal danach fragt. Eben: Man empfindet die wuchernde Bürokratie als Problem. Aber Studien belegen auch, dass Ämter mit direktem Bürgerkontakt oft gut bewertet werden. Die öffentliche Meinung wird stark vom neoliberalen Diskurs geprägt, der die Bürokratie gerne als «Klotz am Bein» des Staates darstellt. Elon Musk zeigt bei Tesla und Spacex höchst erfolgreich, wie man komplexe Strukturen und Probleme stark vereinfachen kann. Warum soll das beim Staat nicht funktionieren? Das ist ein völlig falscher Vergleich. Ein Unternehmen hat den Luxus, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren – Autos oder Raketen produzieren. Ein moderner Staat muss Hunderte unterschiedliche und immer mehr Aufgaben erfüllen. Denken Sie nur an Cyberkriminalität oder Klimaerwärmung. Die Grösse des Staats wird ihm von der Gesellschaft diktiert. Er hat keine Wahl. Eine aufgeblähte Verwaltung ist also der Preis der Demokratie? Schauen Sie sich die Fakten an: Ein Land mit 50 Prozent Staatsquote und guter Infrastruktur kann wirtschaftlich erfolgreicher sein als eines mit 30 Prozent. Die Qualität der Verwaltung ist entscheidend, nicht ihre Grösse. Das sehen viele Steuerzahler anders. Hier zeigt sich ein faszinierender Widerspruch: Fragt man die Leute ganz allgemein, wollen alle einen schlanken Staat. Fragt man konkret, soll der Staat aber plötzlich überall aktiv sein – bei Trinkwasser, Umweltschutz, Alterspflege, Industriepolitik. Niemand will einen schwachen Staat. „Der Staat muss seine Aufgaben gut erfüllen können. Alles andere rächt sich“. Das klingt nach einem bequemen Argument für immer mehr Bürokratie. Nehmen Sie die SBB: Hier investieren wir pro Kopf doppelt so viel wie Deutschland in die Bahn. Ich fahre in Deutschland oft Zug und ärgere mich ständig. Die Schweiz ist zu Recht stolz auf ihren teuren, aber funktionierenden öffentlichen Verkehr. Warum sollte es bei der Verwaltung anders sein? Gute Leistung hat ihren Preis. Also sollen wir einfach zusehen, wie die Verwaltung weiterwächst? Die Digitalisierung bietet grosse Chancen für mehr Effizienz. Aber auch das ist kein Gratis-Lunch: Neue Technologien einzuführen kostet und braucht zusätzliche Fachleute. Der Staat muss seine Aufgaben gut erfüllen können. Alles andere rächt sich. Gibt es für Sie überhaupt eine Grenze beim Staatswachstum? Die Grösse der Verwaltung muss sich an ihren Aufgaben orientieren. Und diese Aufgaben bestimmt in einer Demokratie die Gesellschaft. Versuchen Sie mal, den Staat aus dem Wohnungsmarkt oder der Raumplanung zurückzuziehen – dafür finden Sie keine Mehrheit. Wir haben uns an ein hohes staatliches Schutzniveau gewöhnt. Das lässt sich nicht einfach zurückdrehen.