«Wir lassen niemanden im Regen stehen» Hinzugefügt am 11. März 2019 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textauszug NZZ vom 11. März 2019 / Interview, von Kathrin Alder) Bundesgerichtspräsident Meyer: «Wir lassen niemanden im Regen stehen». Mit der anstehenden Revision des Bundesgerichtsgesetzes fürchten manche einen gefährlichen Abbau des Rechtsschutzes. Bundesgerichtspräsident Ulrich Meyer hält im Gespräch mit der NZZ dagegen. Herr Meyer, Sie sind ein begeisterter Schachspieler. Erkennen Sie Parallelen zu Ihrer Arbeit als Bundesrichter? Teilweise. Recht sprechen bedingt zwar auch Logik, aber nicht ausschliesslich. Es heisst vor allem zuhören, lesen, überlegen, werten, abwägen, konkretisieren und am Schluss entscheiden. Recht sprechen ist das ständige Bestreben, im Rahmen von Gesetz und Verfassung Gerechtigkeit walten zu lassen. Ein hehres Ziel, doch mit Ausnahme von interessanten Urteilen ist die dritte Gewalt im Vergleich zur Politik wenig präsent. Müsste die Judikative nicht sichtbarer sein? Nein! Justiz ist nicht Politik. Wichtig ist allein, dass die Gerichte täglich in voller Unabhängigkeit ihre Arbeit richtig und zeitgerecht erfüllen und dass sie in der Öffentlichkeit als funktionierende Institutionen wahrgenommen werden. Eine Personalisierung der Justiz lehne ich entschieden ab, und zwar aus prinzipiellen Gründen. Je weniger man von mir als Bundesgerichtspräsident spricht, desto besser! Das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die Justiz ist ungebrochen. Die Selbstbestimmungsinitiative der SVP, die auch ein Angriff auf das Bundesgericht war, hat das Stimmvolk vergangenen Herbst in Bausch und Bogen verworfen. Ein Vertrauensbeweis? Ich habe mich vor der Abstimmung jeder Stellungnahme zu dieser Initiative enthalten – aus Gründen der Gewaltenteilung. Wir mischen uns als Bundesgericht nicht in den politischen Prozess ein. Und nun, da die Abstimmung vorüber ist, liegt es auch nicht an mir als Bundesgerichtspräsident, das Ergebnis zu kommentieren. Das hat im Bundeshaus zu geschehen und nicht am Bundesgericht. Dennoch behauptet insbesondere die SVP, die Rechtsprechung am Bundesgericht sei politisch gefärbt. Das Bundesgericht urteilt nicht politisch. Es ist nach der Bundesverfassung allein dem Recht verpflichtet. Nun ist es aber unvermeidlich, dass bundesgerichtliche Urteile politische Auswirkungen haben können. Ich erinnere daran, dass das Bundesgericht 1990 im Kanton Appenzell Innerrhoden das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene durchgesetzt hat. Ein rein juristisch gefällter, in seinen Auswirkungen jedoch hochpolitischer Entscheid. Damit muss man als Richter leben können. «Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde bringt nichts. Sie ist ein Rohrkrepierer.» Das Bundesgericht klagt über eine hohe Arbeitslast. Die Zahl der eingegangenen Beschwerden hat im Jahr 2017 einen Höchststand erreicht. Woran liegt das? Es gibt sicherlich viele gesellschaftliche Gründe dafür, allein schon die Zunahme der Bevölkerung. Der Hauptgrund liegt aber im Gesetz. Das Bundesgerichtsgesetz (BGG) ist seit 2007 in Kraft. Eines seiner Hauptziele war es, das Bundesgericht nachhaltig zu entlasten. Dieses Ziel wurde eindeutig verfehlt. Deswegen stehen wir nun vor der Revision. Es geht darum, das Bundesgericht richtig und stufengerecht zu belasten. Kommende Woche wird sich der Nationalrat über die Revision des BGG beugen. Sind Sie zufrieden mit der Vorlage, die nun ins Parlament kommt? Die Vorlage ist grundsätzlich sehr zu begrüssen. Der Gesetzesentwurf enthält viele positive Elemente, die das Bundesgericht befürwortet. Doch hat er einen groben Strickfehler: Entgegen der Ansicht des Bundesgerichts soll die subsidiäre Verfassungsbeschwerde erhalten bleiben. Weiterlesen.