Das Firmensterben beginnt Hinzugefügt am 17. November 2020 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textauszug Tages-Anzeiger vom 17. November 2020 / von Tim Wirth) Die Pandemie hat zur Insolvenz der Wäscherei von Markus Herrmann geführt. Die Beamten des Konkursamts bestatten jeden Tag eine andere Firma. Die Displays der Maschinen blinken noch: Feinwaschprogramm, 40 Grad. Markus Herrmann könnte auf «Start» drücken, dann würden die Trommeln rotieren, doch die Wäschezainen sind leer, am Ständer baumeln nur noch wenige Kleider, unter anderem eine saubere Hose, die eine Frau im März 2014 gebracht und noch immer nicht abgeholt hat. «Ich habe sie bis jetzt aufbewahrt», sagt Herrmann. Zwölf Jahre lang ist der 67-Jährige mit seinem Transporter bei den teuren Zürcher Hotels vorgefahren – «Dolder, Baur au Lac, Marriot», sagt er nicht ohne Stolz – hat dort Ballkleider und Personaluniformen abgeholt und diese dann in seinem Salon beim Toni-Areal in Zürich gewaschen. Sieben Angestellte. Eine Million Umsatz. Jetzt klebt ein Zettel an der Glastür von «Herrmann’s Laundry Service»: «Betriebsschliessung. Wir bedauern diesen Schritt zutiefst.» Wäschereien, Reisebüros, Coiffeure, Baugeschäfte oder Taxiunternehmen – sie alle mussten in den letzten Wochen aufgeben. 127 Unternehmen insgesamt haben im Oktober im Kanton Zürich Konkurs angemeldet. Das sind 91 Prozent mehr als im September und sieben Prozent mehr als im Oktober des Vorjahres. Die Konjunkturforschungsstelle der ETH spricht vom ersten starken Anstieg der Konkurse in Zürich seit dem Beginn der Corona-Pandemie. Trainingscamp und Co-Working-Space in Opfikon Marco Lucchinetti eilt in seinen roten Chuck-Turnschuhen über den Teppich. Der 43-Jährige, der seit seiner Lehre im Konkurswesen arbeitet, hat in diesen Tagen viel zu tun. Am Donnerstag war er bis spät am Abend im Swissôtel in Oerlikon und hat dort den Konkurs eingeleitet. Luccinetti hat die Eingänge verschlossen. Lucchinetti hat die Kassen gesichert. Und Lucchinetti hat mit seinem Team die Küche so weit geräumt, dass nichts verschimmelt. Daneben schult er gerade die neue Spezialeinheit des kantonalen Konkursamts, «Mobile Equipe+» genannt. In einem Co-Working-Space in Opfikon geht es seit Anfang Monat zu und her wie einem Jus-Seminar an der Universität. Juristinnen und Kaufmänner büffeln Konkursrecht. Wegen der drohenden Konkursflut wurden im Kanton Zürich zehn zusätzliche Vollzeitstellen befristet auf zwei Jahre bewilligt. Die neuen Mitarbeitenden sollen im ganzen Kanton helfen, die Firmen amtlich zu bestatten. Nicht nur im Trainingscamp in Opfikon lernen die Neulinge, sondern auch direkt in der Praxis. Eine Juristin, die Lucchinetti gestern ins Swissôtel begleitet hat, sagt: «Es war spannend.» Wie auf einem sinkenden Schiff habe es sich im Hotel angefühlt. «In der Lobby sitzen noch Menschen, aber eigentlich ist das Hotel tot. Total surreal.» Im Februar soll Luccinettis Spezialeinheit fertig ausgebildet und voll einsetzbar sein… Genau so war es bei «Herrmann’s Laundry Service». Der Umsatz sei schon im Frühling um 95 Prozent eingebrochen, sagt Markus Herrmann. Mit den Corona-Krediten und der Kurzarbeit konnte er noch ein paar Monate durchhalten. «Dann habe ich es nicht mehr gesehen», sagt Hermann. Leere Hotels verursachen keine Wäsche. Und sein Vermieter wollte ihm keine Zinsreduktion zugestehen. Zurück bleiben Fische oder Bit-Coins Marco Lucchinetti hat von der Wäscherei im Kreis 5 gehört. «Eine Kollegin betreut den Fall», sagt er. Lucchinetti sitzt jetzt im Konkursamt Aussersihl, spät am Abend hat er noch Zeit für ein Gespräch gefunden. «Ein Konkurs ist nichts Peinliches», sagt Lucchinetti. «Eigentlich sollte man applaudieren, dass jemand über Jahre Arbeitsplätze geschaffen und Steuern bezahlt hat.» Firmen sterben in seinem Büro – das sei ein ganz normaler Prozess. Doch hinter jedem Konkurs stecke ein gescheiterter Lebenstraum. Er wolle empathisch sein und dies würdigen, sagt Lucchinetti. Und dennoch muss er das Gesetz vollstrecken und für die Gläubiger das wirtschaftliche Optimum herausholen. «Ein Kuschelkurs bringt nichts», sagt er. Die Arbeit an einem Konkurs beginnt jeweils mit einem Brief des Gerichts. Marco Lucchinetti weiss am Morgen nie, ob er bald eine Wäscherei oder ein Hotel schliessen muss. Das sei aufregend, sagt er. Mal muss Lucchinetti schauen, was er mit den Fischen machen soll, die im Aquarium eines maroden Tierfachhandels schwimmen. Mal muss er sich überlegen, wie er das Bitcoin-Vermögen eines Take-away-Besitzers so umwandelt, dass die Gläubiger etwas damit anfangen können. Es sei manchmal unangenehm, der Übermittler von schlechten Nachrichten zu sein, sagt Lucchinetti. Wenn es die Chefinnen und Chefs nicht selbst kommunizieren, muss er den Mitarbeitenden auch mal sagen: «Gebt die Schlüssel ab, nehmt eure Tasse und einen Block mit, wenn ihr wollt, und meldet euch dann beim Arbeitslosenamt.» Weiterlesen (zum Abo-pflichtigen Artikel). Jetzt rüsten sich Behörden für die grosse Konkurswelle