Diese Schuldenfalle ging vergessen – Ständerat soll prüfen Hinzugefügt am 8. Juni 2021 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textbeitrag Beobachter vom 21. Mai 2021 / von Katharina Siegrist und Nicole Müller – mit freundlicher Genehmigung der Redaktion zur Verfügung gestellt) Krankenkassen. Ein Systemfehler treibt viele endgütlig in den Ruin. Ausgerechnet er wird bei der aktuellen Revision ignoriert. „Ich war jung, dumm und völlig überfordert“, erzählt Fabian Neuhauser* (Name geändert)… Schon bald konnte der Zürcher seine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Im Nu war er bis über beide Ohren verschuldet. „Und irgendwann war ich so resigniert, dass ich nicht einmal mehr die Post öffnete.“ Das war vor 15 Jahren. Im ganzen Chaos vergass Neuhauser damals auch, die Prämien für die Krankenkasse zu zahlen. Er musste erst sein Leben wieder in den Griff bekommen. Er jobbte temporär auf dem Bau. Sein Lohn wurde gepfändet, er zahlte Schulden ab. Doch die Krankenkassenprämien machten ihm einen Strich durch die Rechnung – wegen eines Systemfehlers. Krankenkassenprämien werden bei einer Lohnpfändung eigentlich zu den laufenden Kosten gerechnet. Das Geld dafür bleibt einem also erhalten. Aber nur, wenn man die Prämien in den letzten drei Monaten bezahlt hat und die Zahlungsbelege vorweisen kann. Manche zahlen Rechnungen aber nicht regelmässig – und vergessen, Belege aufzubewahren. Das wissen auch Betreibungsämter und Schuldenberatungen… Betreibungen am Laufmeter Fabian Neuhauser ist kein „Tüpflischisser“. Weil er die Mai-Prämien nicht zahlte, kürzte ihm das Betreibungsamt das Juni-Existenzminimum um entsprechende 300 Franken. So ging es Monat für Monat. Und für jede offene Prämienrechnung leitet die Krankenkasse eine neue Betreibung ein. Die Folge: Neuhauser machte trotz Lohnpfändung neue Schulden. So ergeht es der Mehrheit der Betroffenen. Bei fast 70 Prozent der Lohnpfändungen können die Krankenkassenprämien nicht im Existenzminimum berücksichtigt werden, schätzen die Stadtammann- und Betreibungsämter der Stadt Zürich. Nicht mehr Schuldner der Eltern erben Auch das Bundesparlament will die Situation von Schuldnerinnen und Schuldnern verbessern und hat eine Reform des Krankenversicherungsgesetzes ausgearbeitet. Danach sollen Teenager mit dem 18. Geburtstag nicht mehr automatisch für die Schulden geradestehen müssen, die entstanden, weil ihre Eltern für sie die Krankenkassenprämien nicht gezahlt haben. Zudem soll man neu zu einer günstigeren Krankenkasse wechseln können, auch wenn man noch nicht alle Prämien bei der alten abbezahlt hat. Und viel spricht auch dafür, dass auch die schwarzen Listen der Kantone abgeschafft werden: wer darauf stand, erhielt nur noch Notfallbehandlungen bezahlt. Aber Schuldnern wie Fabian Neuhauser ist mit der vorliegenden Revision kaum geholfen. Denn das Problem mit den unbezahlten Prämien bei der Lohnpfändung ging schlicht vergessen. Dabei liesse es sich leicht lösen. Wie, zeigen die Zürcher Betreibungsämter seit zwei Jahren mit einem Pilotprojekt. Sie zahlen mit Einverständnis der gepfändeten Person die Prämien direkt an die Krankenkasse – aus dem Lohn, den die Arbeitgeber an das Amt überweisen. „Diese simple Massnahme hatte nachhaltigen Erfolg: Die Anzahl neuer Betreibungen und die Höhe der Forderungen sind markant gesunken“, sagt Yves de Mestral, Präsident der Konferenz der Zürcher Stadtammänner Ab Juli wird das neue System bei allen Stadtzürcher Betreibungsämter Standard sein. Helsana war eine der Krankenkassen, die von Anfang an im Projekt involviert waren. Man habe gute Erfahrungen gemacht, sagt Christian Britt, Leiter Inkasso. „Bei Schuldnern, die administrativ gefordert sind, kann es dabei unterstützen, eine Schuldenspirale zu durchbrechen.“ Davon profitiert auch Fabian Neuhauser. Seit einem halben Jahr zahlt das Betreibungsamt seine Prämien direkt an die Kasse. „Für mich ist das eine grosse Entlastung. Die Schulden bin ich noch nicht los, aber immerhin wächst der Berg nicht mehr. Das gibt mir Mut weiterzukämpfen.“ SP-Nationalrätin Yvonne Feri wollte noch weiter gehen und schlug in einer Anfrage vor, dass die Krankenkassenprämien direkt vom Lohn abgezogen werden – auch bei Schuldnern, deren Lohn nicht gepfändet wird. Der Bundesrat wies das ab. Der administrative Aufwand wäre zu gross… Kritik am Reformvorschlag übt auch Meinrad Vetter, Präsident der Schuldbetreibungs- und Konkurskommissionen am aargauischen Obergericht… Mit dem Zürcher Modell oder mit Feris Vorschlag liesse sich jedoch der „längst überfällige Missstand beseitigen“. Das Parlament müsste beide Lösungsansätze diskutieren. Ob der Ständerat das tut, wird sich Anfang Juni zeigen. Allerdings war das Problem der Krankenkassenprämien im Gesetzesentwurf der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit kein Thema. Nun allerdings kündigt der SP-Ständerat Hans Stöckli gegenüber dem Beobachter ein, er werde das Anliegen im Rat thematisieren. „Es wäre eine grosse Chance, diesen Missstand endlich schweizweit zu beheben“, sagt Yves de Mestral… Zum gesamten Artikel des Beobachters: 210521_Diese Schuldenfalle ging vergessen (Beobachter) – Teil 1, Seite 40 210521_Diese Schuldenfalle ging vergessen (Beobachter) – Teil 2, Seite 41