Höhere Richter können besser sehen Hinzugefügt am 27. November 2017 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textbeitrag NZZ am Sonntag aus der Kolumne „Alles, was Recht ist“ vom 19. November 2017 / von Markus Felber) Richter amten in aller Regel nach bestem Wissen und Gewissen, aber unfehlbar sind sie nicht. Das wird unterstrichen durch das hierarchische Kontrollsystem. Sobald eine obere Instanz die untere korrigiert, wird augenfällig, dass diese sich geirrt haben muss. Die höchste Instanz allerdings wird von niemandem korrigiert und hat damit eigentlich immer recht. Zumindest als Fiktion. Ein eindrückliches Beispiel dieser hierarchischen Wahrheitsfindung liefert ein dieser Tage veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtes. Es ging um die Verurteilung eines Rasers, die auf einem Videobeweis basierte, dessen Zuverlässigkeit wesentlich davon abhing, ob es sich beim zweiten ersichtlichen Fahrzeug um ein Polizeiauto handelte oder nicht. Das Kantonsgericht bejahte dies klar, denn bei genauer Betrachtung der Videosequenz sei „ein auf dem Dach montiertes Blaulicht auszumachen“. Ganz anders das Bundesgericht, das ohne jede weitere Begründung lapidar festhält, auf der Videoaufzeichnung sei „nicht erkennbar, ob das zweite vorbeifahrende Auto mit einem Blaulicht ausgerüstet ist oder nicht“. Wenn das Kantonsgericht behaupte, es habe blaues Licht gesehen, dann sei das bare Willkür, meinte das höchste Schweizer Gericht und hob die Verurteilung des Rasers kurzerhand auf. Den Staatsanwalt wird es kaum gefreut haben. Aber er findet vielleicht schwachen Trost in einer gleichentags veröffentlichten Erkenntnis einer anderen Abteilung desselben Bundesgerichts: „Der Anspruch auf unabhängige und unparteiische Richter umfasst im Übrigen nicht auch die Garantie jederzeit fehlerfrei arbeitenden Richter.“ Damit steht rechtskräftig fest, dass wir mit fehlerhaft arbeitenden Richtern leben müssen. Ausser sie sind Mitglieder eines höchsten Gerichts. Die haben nicht nur von Amtes wegen immer recht, sie sehen von ihrer hohen Warte auch alles deutlich besser als andere. Und das verbindlich. Markus Felber, war langjähriger NZZ-Bundesgerichtskorrespondent