Nach fünf Monaten ist der „Tolggen“ weg Hinzugefügt am 19. Juni 2017 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textauszug Tages-Anzeiger vom 19. Juni 2017 / von Thomas Müller) Ungerechtfertigte Betreibungen lassen sich heute kaum löschen. Für Betroffene wirkt dies wie ein Klotz am Bein. Abhilfe ist auf dem Weg. In der Schweiz kann jeder jeden betreiben, auch ohne Grund. Die Betreibungsämter dürfen nicht prüfen, ob ein Anspruch tatsächlich besteht. Das führt teilweise zu krassen Fällen: In einem kleinen Dorf im St. Galler Rheintal schickte ein Wirt einem benachbarten Ehepaar Anfang Jahr eine Betreibung über 2 Millionen Franken. Als Forderungsgrund nannte er: „Diverse“. Tatsächlich lagen sich die Parteien wegen der Öffnungszeiten des Restaurants seit langem in den Haaren. Die Nachbarn störten sich an „Gerede, Gelächter und Tabakrauch bis weit nach Mitternacht“, wie der „Beobachter“ schrieb. Der Wirt seinerseits beklagte sinkende Umsätze, weil er den Garten zumachen müsse. Polizisten, Ämter und Anwälte konnten die verfahrene Situation nicht lösen. So kam es zur Schikanebetreibung… In derart krassen Fällen ist es schon heute relativ einfach, einen Registereintrag wieder loszuwerden. Denn rechtsmissbräuchliche Betreibungen sind nichtig und laut Gesetz zu löschen. Betroffene können sich unentgeltlich bei der kantonalen Aufsichtsbehörde beschweren… „Löschen“ heisst, dass die Betreibung im Register einen entsprechenden Vermerk erhält und Dritten nicht mehr bekannt gegeben werden darf. Doch Vorsicht: Damit eine Betreibung rechtsmissbräuchlich ist, braucht es viel. Der Betreibende muss damit Ziele verfolgen, „die nicht das Geringste mit der Zwangsvollstreckung zu tun haben“, wie es das Bundesgericht formuliert hat. Dies ist etwa der Fall, wenn er bloss die Kreditwürdigkeit des angeblichen Schuldners schädigen will… Doch nun naht Abhilfe. Das Parlament hat im letzten Winter einen zusätzlichen Passus im Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz beschlossen, der es zu Unrecht Betriebenen erleichtern wird, den „Tolggen“ zu entfernen. Der genaue Zeitpunkt des Inkrafttretens steht zwar noch nicht fest. Sicher ist aber, dass Betroffene künftig mit einem Gesuch ans Betreibungsamt verlangen können, dass der Eintrag Dritten nicht mehr kundgetan wird. Das Gesuch stellen können sie, frühestens drei Monate nachdem sie den Zahlungsbefehl erhalten und Rechtsvorschlag erhoben haben. Der Gläubiger hat dann 20 Tage Zeit, um zu beweisen, dass er Schritte unternommen hat, um den Rechtsvorschlag zu beseitigen (Rechtsöffnungsbegehren oder Klage vor Gericht). Hat er die Betreibung nicht weiterverfolgt, etwa weil es ihm nur darum ging, in einer umstrittenen Sache Druck aufzusetzen, wird der Eintrag gelöscht. David Rüetschi, Chef des Fachbereichs Zivil- und Zivilprozessrecht beim Bundesamt für Justiz, sieht darin eine wesentliche Verbesserung: „Bisher waren haltlose Betreibungen laut Gesetz fünf Jahre lang im Register sichtbar. Neu sind es nur noch etwa fünf Monate, wenn Betroffene ein Löschungsgesuch stellen. Das kann man nötigenfalls aussitzen.“ Kritischer beurteilt der Zürcher Rechtsanwalt Jean-Daniel Schmid die beschlossene Änderung. Er weist darauf hin, dass Gläubiger eine Betreibung oft nicht weiterverfolgen, vor allem wenn es um kleinere Beträge geht wie zum Beispiel im Onlinehandel. „Es besteht das Risiko, dass Schuldner in der Zukunft auch berechtigte Betreibungen verschwinden lassen. Der Informationsgehalt des Betreibungsregisters nimmt damit ab“, so Schmid. Weiterlesen. Inklusive Zusatzartikel: Betreibungsregisterauszug – Der Deal „Geld gegen Rückzug“ soll sich weniger lohnen News-Beitrag vom 17.12.2016 (NR + SR: Ergänzung zu Art. 8a Abs. 3 SchKG – Kenntnisnahme Betreibungsauskunft) (Textauszüge aus dem Fachbuch „SchKG – Ein Leitfaden für die Praxis“ zur Thematik Betreibungsrückzug und Schikanebetreibung) Betreibungsrückzug: … In den letzten Jahren hat sich dies zu einem Massengeschäft entwickelt. Als Vergleich: Das Betreibungsamt Dübendorf erfasste im Jahr 2013 etwa 11 000 Betreibungen. Demgegenüber kam es seitens der Gläubiger zu 2 933 Rückzügen von Betreibungsbegehren. Das heisst, statistisch wurden über ein Viertel der eingeleiteten Begehren seitens des Gläubigers zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückgezogen. Schikanebetreibung: …Gerade in juristischen Kreisen wird sehr oft bemängelt, dass jemand jederzeit gegen eine unliebsame Person eine sogenannte Schikanebetreibung einleiten kann. In der Praxis wird davon kaum Gebrauch gemacht. Bleiben wir bei den Fallzahlen des Betreibungsamts Dübendorf aus dem Jahr 2013 mit etwa 11 000 Betreibungen. Wirklich ungerechtfertigte Betreibungen waren in diesem Jahr, wie auch schon in den vergangenen zwölf Jahren, an einer Hand abzuzählen. In solchen Fällen wird der ungerechtfertigt betriebenen Person geraten, den Gläubiger ebenfalls auf die Gerichtskosten und eine allfällige Prozessentschädigung hinzuweisen, sofern er die Betreibung nicht umgehend von sich aus zurückzieht… Obwohl er keine Begründung geben muss, sollte der Schuldner überlegen, warum er die Bezahlung der Forderung verweigert und welche Erfolgsaussichten seine Weigerung hat. Ein grundloser Rechtsvorschlag wird im späteren Verfahren beseitigt und verursacht dem Schuldner zusätzliche Kosten. Oft wird allerdings bloss Rechtsvorschlag erhoben, um die Betreibung zu verzögern oder den Gläubiger zu verärgern. So wird von allen zugestellten Zahlungsbefehlen ungefähr jede zehnte durch einen Rechtsvorschlag bestritten; wobei davon auszugehen ist, dass die Anzahl von ungerechtfertigten Betreibungen bei diesen im unteren einstelligen Prozentbereich liegt.