Süchtig nach Shopping Hinzugefügt am 22. Januar 2018 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textauszug SonntagsZeitung vom 14. Januar 2018 / von Denise Jeitzinser) Mindestens 340 000 Menschen in der Schweiz sind kaufsüchtig – Tendenz steigend. Hilfsangebote gibt es kaum, von Prävention ganz zu schweigen. Nun stehen sie wieder überall, die Schaufensterpuppen mit den roten „Sale“-Shirts , Newsletter preisen 30, 50, 60 Prozent Rabatt auf alles an, und ehe man es sich versieht, hat man drei Paar Hosen im realen oder virtuellen Einkaufskorb, den Wollmantel, den schwarzen Pulli auch noch in Blau und Grün und die Küchenmaschine mit Zubehör wie Pastaaufsatz, Fleischwolf und Apfelschneider. Laura Keller zwingt sich, daheim zu bleiben und all das zu ignorieren. „Bin ich unterwegs, wird es schwierig, mich zu kontrollieren.“ Ihre Kaufsucht hat sie inzwischen im Griff – meistens jedenfalls. Manchmal sei das Verlangen so gross, dass sie es nicht steuern könne. Wie beim Aussetzer vor ein paar Monaten. Nach einem emotionalen Tiefschlag ging sie in die nächste Boutique und kaufte vier Paar Schuhe… Sie kaufte viel, nicht in Billigläden, sondern am liebsten in einer jener Boutiquen, in denen man umsorgt wird mit Kaffee, Orangensaft und Fingerfood; ein angenehmer Nebeneffekt. Zu einer Psychologin sagte sie später einmal: „Andere haben Freunde, ich habe meine Kleider.“ Irgendwann waren es so viele, dass sie einen Lagerraum mieten musste. 20 000 bis 30 000 Franken gab sie monatlich aus, damals habe sie noch genügend verdient. „Man kann aber auch mit wenig Geld kaufsüchtig werden.“ Inzwischen ist ihr Schuldenberg so hoch, dass sie den Betrag nicht nennen mag. Sie habe immer mit der Kreditkarte bezahlt in der festen Überzeugung, Ende Monat alles begleichen zu können. Laura Keller ist eine von schätzungsweise 340 000 Shoppingsüchtigen hierzulande, vermutlich sind es noch mehr… Übermässiges Shoppen ist gesellschaftskonform, fast jeder hat etwas im Schrank, das er noch nie getragen hat, viele Jugendliche geben als Hobby „Shoppen“ an. Der Übergang zu krankhaftem Kaufen ist fliessend. Im Gegensatz zu Alkohol- oder Drogenabhängigen fallen Kaufsüchtige nicht negativ auf, im Gegenteil. „Ich galt immer als eine der bestgekleideten Frauen in der Firma und erhielt oft Komplimente“, erzählt Keller. Für Betroffene ist das ein Teufelskreis, zumal Personen mit niedrigem Selbstwertgefühl besonders anfällig für zwanghaftes Kaufverhalten sind. „Sie machen ihren Selbstwert grösstenteils vom Urteil anderer abhängig und reagieren auf Komplimente“, weiss die Psychologin Anikó Maráz. Das Selbstwertgefühl sei verletzlich und leicht zu beeinflussen, was die Werbung natürlich ausnützt. Frauen seien über Emotionen leichter zu manipulieren als Männer, sagt Maráz. Entsprechend sind sie stärker betroffen; bei der Schweizer Befragung waren doppelt so viele Frauen kaufsüchtig wie Männer… Beim Shoppen suche man den Kick, wolle negative Gefühle verdrängen oder betäuben wie andere mit Alkohol oder Drogen. Um die Sache gehe es nicht. „Das ist der Grund, warum fast alle Shoppingsüchtigen ihre Einkaufstüten oder Pakete achtlos liegen lassen.“ Nach dem Kauf ist immer vor dem Kauf. Laura Keller war drei Monate stationär in Behandlung mit kognitiver Verhaltenstherapie und besucht seit zwei Jahren die Basler Therapiegruppe – ein nachweislich wirksames Mittel gegen Kaufsucht. Mit Übungen versuchen die Teilnehmerinnen ihr Selbstwertgefühl zu steigern und Strategien zur Selbstkontrolle und gegen das Verlangen zu finden. „Ich versuche Verlockungen aus dem Weg zu gehen“, sagt Keller. „So weit das halt möglich ist, ums Einkaufen kommt ja niemand herum.“ Poespodihardjo rät Shoppingsüchtigen, Einkaufslisten anzufertigen, mit Bargeld zu bezahlen statt mit Kreditkarte, sich eine neue Mailadresse zuzulegen, damit nicht ständig Produkte-Newsletter eintrudeln und Onlineshopping bestenfalls zu vermeiden. Auch Ablenken hilft. Die Gefahr einer Suchtverschiebung sei aber hoch, sagt Laura Keller. „Ich bin ein TV-Junkie geworden.“ Weiterlesen. „Ich gehe jetzt in die Stadt und kaufe mir was gegen Halsschmerzen. Schuhe oder so.“