Was, wenn sich Staatsverweigerer radikalisieren? Hinzugefügt am 3. Februar 2025 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textbeitrag Tages-Anzeiger ABO-pflichtig vom 1. Februar 2025 / von David Sarasin) Während einige aktuell von der Härte des Gesetzes zurückschrecken, werden andere extremer. Experten warnen vor dem Gewaltpotential der Querulanten. Eher zu einer Beruhigung sei es im Kanton Zürich gekommen, stellt der Präsident des Verbandes der zürcherischen Betreibungsbeamten (VGBZ) fest. In Kürze: Rund 250 gefälschte Haftbefehle wurden von Staatsverweigerern an Behörden gesendet. Einige Mitglieder der Gruppe rechtfertigen Gewalt gegenüber Staatsangestellten als Notwehr. Ein Prüfverfahren klärt, ob Staatsverweigerer auf eine Beobachtungsliste des NDB kommen. Kürzlich erhielten rund 250 Staatsanwälte, Gemeindepräsidenten, Betreibungsbeamtinnen, Angestellte von Steuerämtern und andere vom Staat beschäftigte Personen einen Drohbrief. In Form eines erfundenen Haftbefehls. Darin wurden ihnen unterschiedliche Punkte vorgeworfen: darunter Nötigung, Verletzung von Menschenrechten, Verwendung eines fiktiven Namens, Durchführung rechtswidriger Zwangsmassnahmen. Gezeichnet sind die Dokumente mit roten Fingerabdrücken, unter denen die Worte stehen: «Fakten in die fiktive Welt einbringen.» Die Vereinigung, die hinter den einheitlich gestalteten, offensichtlich erfundenen Haftbefehlen steckt und die diese auf ihrer Website zum Herunterladen bereitstellt, ist in Telegram-Gruppen organisiert. Dort ist auch die Dokumentation aller verschickten Briefe auffindbar. Sie stammen aus dem Umfeld der Staatsverweigerer, die seit der Pandemie in den Schweizer Ämtern vermehrt durch renitentes Verhalten für Ärger sorgen. Dem Staat sprechen sie jegliche Legitimität ab, sie beschimpfen Mitarbeitende, schicken Behördenbriefe zurück. Dabei stützen sich die Personen auf eine Verschwörungstheorie, wonach der Schweizer Staat eine Firma sei und keinerlei Befugnis besitze zu handeln. Staatsverweigerer radikalisieren sich oder krebsen zurück Bei den Staatsverweigerern gibt es derzeit zwei Tendenzen. Ein Teil scheint sich zu radikalisieren. Davon zeugen die falschen Haftbefehle. Ein anderer Teil hingegen scheint vom Totalwiderstand gegen die Behörden abzukommen. Das hat laut Kennern der Szene und Staatsangestellten, mit denen diese Redaktion sprach, auch damit zu tun, dass sie derzeit die Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. In den derzeit aufkeimenden Konflikten sieht Dirk Baier vom Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ein Eskalationspotenzial. «Die Radikalität, die mit der staatsablehnenden Ideologie einhergeht, wird in Konfliktsituationen sichtbar.» Er warnt davor, die Schweizer Staatsverweigerer zu verharmlosen. «Es gibt in der Szene Personen, die eine Gewaltaffinität aufweisen und aufgrund ihres Waffenbesitzes auch als gefährlich einzustufen sind», sagt Baier auf Anfrage. Ein aktueller Fall aus der Gemeinde Horgen lässt ebenfalls aufhorchen. Bei einem Mann, der, wie bei Staatsverweigerern üblich, weder Rechnungen bezahlte noch zu Anhörungen der Polizei erschienen war, wurden 2023 bei einer Hausdurchsuchung mehrere Schusswaffen, darunter auch ein Pump-Action-Gewehr, gefunden. Dies ist einem Verwaltungsgerichtsentscheid von Mitte Januar zu entnehmen. Der Mann hatte gegen die Beschlagnahmung seiner Waffen Beschwerde eingereicht. Selbst betitelte er sich als «Aufseher für Menschenrechte» und störte die Polizei bei einer Geländeräumung. Ordnungsbussen schickte er zurück, da sie seiner Meinung nach nicht rechtmässig ausgestellt worden waren. Gleich verfuhr er mit Zahlungsbefehlen; Vorname und Nachname seien vertauscht worden, begründete er seine Rücksendungen. Polizisten, die bei ihm vorstellig wurden, fragte er, ob er selbst eine Waffe auf sich tragen solle, «damit man auf gleicher Augenhöhe» sei. Das Zürcher Verwaltungsgericht begründete die Beschlagnahmung seiner Waffen damit, dass der Mann eine «klar radikale Einstellung zum Ausdruck» gebracht habe. Kanton Zürich eröffnet Prüfverfahren Welche Gefahr von der Staatsverweigerer-Szene in der Schweiz tatsächlich ausgeht, ist derzeit umstritten. Als Antwort auf einen parlamentarischen Vorstoss vom vergangenen Jahr schreibt der Bundesrat: «Die Ideologie der Staatsverweigerer ist nicht offen gewalttätig. Gruppen oder einzelne Personen rechtfertigen aber Gewalt als ein Mittel der Notwehr und zeigen sich gegenüber Vertreterinnen und Vertretern der öffentlichen Hand aggressiv und gewaltbereit oder sogar gewalttätig.» Ein umfassendes Lagebild fehle jedoch, das Phänomen der Staatsverweigerer sollte analysiert werden, so der Bundesrat weiter. Die Zürcher Sicherheitsdirektion lieferte vergangenes Jahr zumindest Hinweise für eine mögliche Bedrohungslage. Sie eröffnete beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ein Prüfverfahren, wonach geklärt werden soll, ob Staatsverweigerer auf die klassifizierte Beobachtungsliste des NDB zu setzen seien. Auf die Beobachtungsliste kommt eine Gruppe nur, wenn sie gewalttätig ist. Von dem Prüfverfahren berichtete zuerst die «NZZ am Sonntag». Ob es bereits abgeschlossen ist, geben auf Anfrage weder die Kantonspolizei noch der NDB bekannt. Staatsverweigerer besitzt Schusswaffen Ein Fall aus Urdorf aus dem vergangenen Jahr deutet ebenfalls darauf hin, dass die Kantonspolizei von einem Risiko im Umgang mit Staatsverweigerern ausgeht. Ein selbst ernannter Menschenrechtsaktivist, der Betreibungen ignorierte und jegliche Vorladungen der Polizei missachtete, wurde von einem halben Dutzend bewaffneter Polizisten einer Sondereinheit aus der Wohnung geholt. Solche Einheiten kommen zum Zug, wenn die Polizei von einer Gefährdung ausgeht. Die Stürmung der Wohnung ist in mehreren Videos festgehalten, die der Beschuldigte selbst vom Einsatz machte und in einschlägigen Telegram-Gruppen veröffentlichte. Ob dem Einsatz Drohungen oder Hinweise auf Waffenbesitz vorausgingen, ist unklar. Sicher ist: Die Diskussionen über die Gefährlichkeit von Staatsverweigerern, die vielerorts schlicht als Spinner aufgefasst werden, hat im Frühjahr 2023 an Fahrt aufgenommen. Damals wurde bekannt, dass die deutsche Polizei ein Netzwerk von schwer bewaffneten Reichsbürgern zerschlagen hat. Bekannt wurden im Zuge der Razzia auch Verbindungen des Netzwerks in die Schweiz, gegen zwei Personen wurde im Kanton St. Gallen ein Strafverfahren wegen Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Organisation eröffnet. Ob es sich dabei um Schweizer Staatsverweigerer handelt, ist nicht klar. Reichsbürger glauben, dass die Rechtsprechung des Deutschen Reiches zwischen 1871 und 1945 weiterhin fortbestehe. Mit den Staatsverweigerern teilen sie die totale Ablehnung des Rechtsstaats. Viele Staatsverweigerer gehen nicht bis zum Äussersten Ein ganz anderes Bild zeigt sich dagegen auf den Betreibungsämtern im Kanton Zürich. Dort wehren sich die Staatsverweigerer weniger. «Es ist ruhiger geworden im vergangenen Jahr», sagt der Präsident der Zürcher Betreibungsämter, Thomas Winkler. Einige Querulanten hätten im Angesicht der drohenden Strafen davon abgesehen, bis zum Äussersten zu gehen, sagt Winkler. «Wenn tatsächlich ein Gefängnisaufenthalt oder ein Wohnungsverlust droht, stellen sich derzeit viele die Frage, ob sich das lohnt.» Ein Eskalationspotenzial sieht Winkler wie Baier aber in jenen Fällen, die derzeit vollstreckt werden müssen. «Davon gibt es derzeit sehr viele», sagt er. Winkler sagt auch, dass die Ämter insgesamt besser vorbereitet seien auf querulatorisches Verhalten. Das habe auch damit zu tun, dass in gewissen Kantonen im Zuge des erhöhten Aufkommens von Staatsverweigerern Leitfäden eingeführt worden seien, um den Umgang mit besonders renitenten Personen zu erleichtern. Die Interventionsstelle gegen Radikalisierung und gewalttätigen Extremismus der Zürcher Kantonspolizei bietet zudem internen Stellen Sensibilisierung und Beratung an, um Straftaten zu erkennen und zu verhindern. Dadurch konnten Menschen aus der Szene aussteigen, wie ein Sprecher der Kantonspolizei auf Anfrage sagt. Wie viele Personen durch diese Programme reintegriert werden konnten, darüber gibt die Kantonspolizei keine Auskunft. Wenn Gerichte zu Verbrechern werden Während sich die eine Seite von der Totalablehnung der Behörden abwendet, wird die andere stets radikaler. Wohin die Radikalität im äussersten Fall führen kann, zeigt ein Fall aus England. Mark Kishon Christopher versuchte während einer Gerichtsverhandlung gewaltsam den obersten Gerichtsmediziner von Sussex zu entführen. Dabei trugen er und seine Komplizen Leuchtwesten und waren mit Bodycams und Handschellen ausgestattet. Vorgängig versandte Christopher Drohschreiben in pseudojuristischer Sprache. Christopher ist kein niemand, sondern ein Sprachrohr der Szene, auch in der Schweiz. Unter den hiesigen Staatsverweigerern wird er als oberster Richter eines internationalen Pseudogerichts akzeptiert. Für seine Tat wurde Christopher vom englischen Gericht zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. In den Schweizer Chats ist er noch immer populär.