Beim Velo wird’s richtig persönlich Hinzugefügt am 15. April 2019 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textauszug Tages-Anzeiger vom 15. April 2019 / von Thomas Wyss. Foto von Fabienne Andreoli) Wieso ersteigert man sich in Zeiten der Sharing Economy einen gebrauchten Drahtesel? Klare Antworten lieferte die städtische Zweiradauktion Velogant vom Samstag im Kreis 5. Die Natur blüht, die Bise kühlt, typisch April. Und «typisch April» ist laut Kennern auch der grosse Menschenauflauf am Samstag vor dem Evangelisch-reformierten Kirchgemeindehaus Industriequartier; diese Schlange würde selbst der benachbarten Konzert- und Partylocation X-tra gut anstehen. Wer hier wartet, will seine Füsse indes nicht fürs Tanzen, sondern fürs Treten benutzen: Es steht nämlich der Saisonauftakt der Zürcher Zweiradauktion an, die offiziell Velogant heisst und von der Velowerkstatt, einer Abteilung der Sozialen Einrichtungen und Betriebe, in Zusammenarbeit mit dem Betreibungsamt viermal pro Jahr durchgeführt wird. Dabei kommen jeweils 90 bis 100 Velos unter den imaginären Hammer… Der Mann, der all das erzählt, heisst David Müller. Er ist stellvertretender Teamleiter der Velowerkstatt und an diesem Samstag mit einem halben Dutzend Kolleginnen und Kollegen für die Durchführung der Gant zuständig. Und weil Müller den Job nicht zu ersten Mal innehat, weiss er noch viel mehr Wissenswertes zu berichten. Zum Beispiel, dass Kindervelos an der Gant einen schweren Stand haben, «wieso, habe ich noch nicht herausgefunden». Dass Peugeot-Velos mit Abstand die gefragtesten seien. Zum einen liege das wohl am Charme der gleichnamigen Autos in alten französischen Filmen, zum anderen an der breiten Angebotspalette. Oder dass der Durchschnittspreis pro Velo bei 170 Franken liege, was pro Gant zu Einnahmen von etwa 17’000 Franken führe – wobei das Wetter einen nicht unerheblichen Einfluss habe… Für diese Stimmung zuständig ist auch Auktionator Christian Locher. Er arbeite sonst als Pfändungsbeamter, da erlebe er oft Trauriges, «das ist hier ganz anders», so der Mittdreissiger. Das Lächeln auf dem Gesicht der neuen Besitzerin oder des neuen Besitzers sei ihm denn auch wichtiger als ein möglichst hoher Preis, und um dies zu erreichen, mache er auch mal einen Spruch, man sei ja nicht bei Sotheby’s, das sehe man auch seinem Look an. «Im Sommer wirds hier 40 Grad, mit Anzug und Krawatte würde ich glatt verrecken.» Eine heterogene Klientel Die einen begründen diese Haltung mit einem Hang zur Nostalgie («Hier wird nicht Trend, sondern Charakter und Stil versteigert»), andere argumentieren mit Pragmatismus («Ich mag nicht jedes Mal alles neu einstellen»), und eine Frau, die das Kunststück fertig bringt, sich selbst zu überbieten – was dank Auktionator Locher zu viel Erheiterung und Applaus führt –, sagt danach strahlend, allein wegen des aufwühlenden Bieterwettbewerbs, der quasi «ein Casino-Feeling voller Adrenalin» gewesen sei, werde sie ihr altes Peugeot-Velo für immer lieben. Trotz Aprilwetter läuft die Gant gut, etliche Zweiräder haben um 15 Uhr den Schnittpreis von 170 Franken überschritten. Zeit für eine letzte Frage an David Müller: Was, wenn jemand plötzlich sein Velo entdeckt, das ihm vor einiger Zeit geklaut worden ist? Der Veranstalter lacht. «Das kommt selten vor, aber wir haben da jedes Mal eine gütliche Lösung gefunden.» Weiterlesen. «Händ ue!»: Auktionator Locher versteigerte in dreieinhalb Stunden mit Charme, Tempo und Witz rund hundert Velos. Foto: Fabienne Andreoli