BGE: Gefangene dürfen Verdienst behalten Hinzugefügt am 19. August 2019 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textbeitrag NZZ vom 17. August 2019 / von Kathrin Alder) Menschen im Gefängnis sind gesetzlich verpflichtet, Arbeit zu leisten. Ihr Verdienst darf indes nicht beschlagnahmt werden – auch nicht für allfällige offene Verfahrenskosten. Dies hält das Bundesgericht fest. 4000 Franken wollte der Mann an Dritte übergeben. Was ausserhalb von Gefängnismauern eine alltägliche Verrichtung ist, erweist sich dahinter jedoch als kompliziert: Der Mann befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug. Im Juli 2018 verurteilte ihn das Kantonsgericht Nidwalden wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu neun Jahren Freiheitsstrafe. Gegen dieses Urteil ging der Mann in Berufung, nun ist das Verfahren beim Nidwaldner Obergericht hängig. Bezüglich der Geldübergabe stellen sich daher folgende Fragen: Darf jemand, der im Gefängnis sitzt, überhaupt Geld an Dritte übergeben? Und was, wenn das Verfahren noch nicht beendet ist und weitere Kosten verursachen wird, so wie im konkreten Fall? Dürfen die Behörden das Geld dann beschlagnahmen? Pflicht zur Arbeit im Gefängnis Das Bundesgericht schickte sich jüngst an, diese Fragen zu beantworten. Klipp und klar hält es fest: Einen Gefängnisverdienst dürfen die Behörden nicht beschlagnahmen. Und bei den 4000 Franken handelt es sich genau um einen solchen Verdienst. Gestützt auf das Strafgesetzbuch, sind Gefangene zur Arbeit verpflichtet. Das gilt auch für Strafgefangene im vorzeitigen Strafvollzug. Auch der Mann musste arbeiten und erhielt dafür regelmässig ein Entgelt, das ihm auf ein Sperrkonto überwiesen wurde. Die Gefängnisleitung stellte schliesslich die 4000 Franken bereit, in der Absicht, diese dem Mann bar auszuzahlen. Am 31. Januar 2019 wollte er das Geld an Dritte übergeben. Am selben Tag erging jedoch eine Verfügung: Der Präsident der Strafabteilung des Nidwaldner Obergerichts beschlagnahmte die 4000 Franken, zur Sicherstellung von Verfahrenskosten. Er forderte die Gefängnisleitung auf, das Geld bis zur Übergabe an die Kantonspolizei zu verwahren. Die Kantonspolizei wies er an, den beschlagnahmten Betrag zu sichern und bei der Gerichtskasse Nidwalden zu hinterlegen. Der inhaftierte Mann wehrte sich allerdings gegen die Beschlagnahmung und gelangte mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Die Richter in Lausanne verweisen in ihrer Begründung zunächst auf das Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz. Demnach gibt es Vermögenswerte, die nicht gepfändet werden dürfen. Unpfändbare Vermögenswerte wiederum dürfen auch nicht beschlagnahmt werden. Zudem hält das Strafgesetzbuch in Artikel 83 Absatz 2 gesondert fest, dass das Entgelt für Arbeiten im Gefängnis «weder gepfändet noch mit Arrest belegt noch in eine Konkursmasse einbezogen werden» darf. Das bedeutet: Arbeitsentgelt darf auch nicht beschlagnahmt werden. Diese Unpfändbarkeit des Arbeitsentgelts ergebe durchaus Sinn, argumentiert das Bundesgericht. Die meisten Strafgefangenen seien überschuldet. Wäre das Arbeitsentgelt pfändbar, würde das ihre Arbeitsmotivation beeinträchtigen und damit auch die Sicherheit im Strafvollzug, hält es weiter fest. Zudem könnten die Gefangenen für die Zeit nach der Entlassung nicht sparen, was der Resozialisierung abträglich wäre. Abschliessend hiess das Bundesgericht die Beschwerde des Mannes gut. Die Beschlagnahme der 4000 Franken hob es auf. (Urteil 1B_82/2019 des Bundesgerichts vom 30. Juli 2019)