Zürcher Betreibungsämter rüsten auf Hinzugefügt am 18. September 2023 | by Markus Zöbeli | Uncategorized | (Textbeitrag Tages-Anzeiger vom 15. September 2023, Abo-pflichtig / von David Sarasin – mit freundlicher Genehmigung der TA-Redaktion zur Verfügung gestellt) Schulungen, Polizeischutz, Panzerglas: Die Behörden in Zürich reagieren auf eine wachsende Anzahl Bürger, die den Staat ablehnen. Es ist ein relativ neues Phänomen – und ein für viele Beteiligte aufreibendes: Bürgerinnen und Bürger, die keine Rechnungen mehr bezahlen, weil sie der Überzeugung sind, dass der Staat eine Firma sei. Da die Staatsverweigerer weder Serafe-Gebühren noch Bussen oder Steuerrechnungen begleichen, werden sie irgendwann zwangsläufig vom Betreibungsamt vorgeladen. Wie eine aktuelle Auswertung von SRF zeigt, sind solche Fälle in der ganzen Schweiz verbreitet. Eine Expertin schätzt die Zahl der Staatsverweigerer auf mehr als 10’000. Diese bescheren den Ämtern in fast allen Kantonen eine deutliche administrative Mehrarbeit. Die Querulanten schicken Behördenbriefe zurück, verfassen lange Rechtfertigungsschreiben oder erscheinen aggressiv auf den Ämtern. Oft passiert es auch, dass Staatsverweigerer die Gespräche mit den Betreibungsbeamten filmen und in den sozialen Medien verbreiten. «Alle Betreibungsämter kennen Staatsverweigerer» Im Kanton Zürich machen sie seit einiger Zeit ebenfalls einem Grossteil der Betreibungsämter zu schaffen. Markus Zöbeli ist Vizepräsident des Verbands der Gemeindeammänner und Betreibungsbeamten des Kantons Zürich (VGBZ). Er sagt: «Alle Betreibungsämter im Kanton hatten in den vergangenen Jahren mit dem Phänomen Staatsverweigerer zu tun.» Zöbeli schätzt, dass rund 20 Prozent der Fälle sehr viel Aufwand verursachten. Damit meint er: Staatsverweigerer haben die Auskunft verweigert, gefilmt oder Beamte bedroht. Zu körperlicher Gewalt sei es bisher noch nicht gekommen, sagt Zöbeli. Nur einmal löste in Rümlang ein besonders resoluter Staatsverweigerer einen grösseren Polizeieinsatz aus. Aussendienst nur noch mit Polizeischutz Um der neuen Bedrohungslage zu begegnen, hätten zahlreiche Betreibungsämter die Sicherheitsvorkehrungen verschärft, sagt Zöbeli. Sie installierten Kameras, Panzerglas in den Gesprächszimmern und organisierten Polizeischutz beim Aussendienst. So zum Beispiel im Betreibungsamt Dübendorf, dem Zöbeli vorsteht. Dessen Betreibungsbeamte gehen künftig nur noch in Begleitung der Polizei zu Personen, bei denen etwa eine Pfändung ansteht. Anfang Jahr hat die kantonale Interventionsstelle gegen Radikalisierung und gewalttätigen Extremismus zudem eine obligatorische Schulung für alle 58 Betreibungsämter im Kanton durchgeführt. Mehr als 100 Beamtinnen und Beamten erarbeiteten sich dort fundiertes Wissen über die Weltanschauung und die Psychologie von Staatsverweigerern – und übten den Umgang mit ihnen. Wie sollen Beamten vorgehen, wenn sie gefilmt werden? Welche Argumentation hilft bei der Behauptung, die Schweiz sei eine Firma? Wie reagiert man, wenn die Person sich weigert, offizielle Dokumente anzunehmen? «Der Umgang ist kompliziert und zeitaufwendig», sagt Zöbeli. Männlich, mittleres Alter, einsam In den Schulungsunterlagen, die dieser Redaktion vorliegen, sind psychologische Charakterisierungen «prototypischer Reichsbürger» enthalten, zusammengestellt von der Universität Zürich. Demnach sind sie oft männlich, mittleren Alters, alleinstehend und eher sozial isoliert. Ebenso liegen bei ihnen vermehrt narzisstische Persönlichkeitsmerkmale vor. Zöbeli erzählt auch von Erfahrungen, die nicht in dieses Bild passen: In Dübendorf habe er auch mit wohlhabenden Staatsverweigerern zu tun gehabt. Ebenso werden in den Schulungsunterlagen die Eskalationsstufen aufgezeigt, die Staatsverweigerer durchlaufen. Die Forschung geht von einem biografischen Bruch aus und zeichnet den Weg über den ersten Kontakt mit anderen Staatsverweigerern bis hin zu aggressivem Verhalten gegenüber sich selbst oder anderen. Generell geht die Forschung aber davon aus, dass Reichsbürger ihren Aggressionen primär verbal oder schriftlich Ausdruck verleihen. Gewalttätige Eskalationen seien erst bei einer Zuspitzung der Lebenssituation zu befürchten. Szene in der Schweiz nicht gewalttätig «So weit sind wir noch nicht», sagt Zöbeli. Im Gegenteil. In Dübendorf etwa nimmt er eher eine Abnahme der Fälle wahr. Für die anstehende Generalversammlung der Zürcher Betreibungsämter sei kein erhöhtes Sicherheitsaufgebot vonnöten, sagt Markus Zöbeli. Schulungen und Aufklärung würden im Moment als Massnahmen genügen. Das gilt auch für andere Schweizer Kantone, wie entsprechende Unterlagen auf den Websites zeigen. Diese Entwicklung entspricht nicht den Erfahrungen aus dem Ausland. Die deutsche Reichsbürgerszene teilt mit den Schweizer Staatsverweigerern zwar die staatsablehnende Haltung und einen ähnlichen Verschwörungsglauben, nicht zwingend aber die rechtsextreme Gesinnung. Dennoch gibt es Kontakte zwischen den Ländern. Bei zwei Razzien Ende 2022 und Anfang 2023 wurden bei deutschen Reichsbürgern in mehreren Bundesländern Hunderte Schusswaffen und eine grosse Anzahl Munition sichergestellt. 25 Personen wurden verhaftet. Die mutmasslichen Mitglieder sollen von einem Systemumsturz fantasiert haben.